Früher Nachmittag: ich sitze an meinen Computer, diese und jene Kleinigkeit erledigen, mal gucken ob es interessantes von den Deutschen Meisterschaften gibt, Jugendweltmeisterschaften laufen auch grade und dieses Wochenende findet das Korbacher Open statt. Mit vielen Spielern aus der Umgebung, die ich gut kenne. Und nebenbei fällt mein Blick auf den Terminkalender -
Sonntag 23.10.: Frauenregionalliga Bad Hersfeld - USC Chemnitz
Völlig entspannt zur nächsten Seite zappen ---- und plötzliche Schockstarre: 23.10. !! das ist ja morgen !! Wie kann das sein ? Ich war felsenfest davon überzeugt, der nächste Mannschaftskampf ist erst im November. Da hätte ich einen Eid drauf schwören können. Schnell die Seite der Frauenregionalliga öffnen, dort steht ebenfalls Frauenregionalliga 1. Runde am 23.10.2016.Also erstmal sammeln:
1) Ich habe diesen Termin aus mir völlig unerklärlichen Gründen komplett aus meiner Wahrnehmung gestrichen.
2) morgen früh um 10:00 Uhr brauch ich eine Mannschaft aus 4 Frauen
3) Keine der Hersfelder Frauen weiß von Ihrem Glück
4) Sollte ich es nicht schaffen eine Mannschaft zusammen zu trommeln, muß ich dem Mannschaftsführer der USC Chemnitz zumindestens noch absagen
=> Wir haben 13:35 Uhr, Ich habe ab jetzt 6 1/2 Stunden, maximal 7 Stunden Zeit. danach wird mir das Risiko zu groß, dass ich den Chemnitzer Mannschaftsführer nicht mehr telefonisch erreiche.
Meine Tochter ist dieses Wochenende glücklicherweise zu Hause, da fehlen nur noch 3 Spielerinnen.
(Warum habe ich eigentlich nicht 4 schachbegeisterte Töchter?)
Um 13:40 geht die Email an alle Hersfelder Schachspielerinnen raus mit der dringenden Bitte sofort zu reagieren. Aber prüft jeder seinen Email-Account in der verbleibenden Zeit?
Ran ans Telefon.
An dieser Stelle zunächst ein kleiner Einblick ins Frauenschach. In den "Männerligen" werden acht Spieler gemeldet, der Mannschaftsführer hat noch 2 oder 3 Ersatzleute an der Hand.
In der Frauenregionalliga darf nur spielen, wer zu Saisonbeginn gemeldet wurde. Man darf beliebig viele Spielerinnen melden. Also wird zu Saisonbeginn alles gemeldet was weiblich ist.
Für Hersfeld haben wir 13 Spielerinnen gemeldet. Darunter sind aber auch viele auswärtige Spielerinnen, die nur einsatzbereit sind wenn sie mal wieder zufällig in ihrer alten Heimat Bad Hersfeld zu Besuch sind.
Die Auswärtigen brauch ich gar nicht erst anrufen, da ich fast durchgängig nur Festnetznummern habe. Wenn ich sie erreiche, ist sie nicht in Hersfeld. Wenn sie in Hersfeld ist, erreich ich sie nicht telefonisch.
1. Telefonat: Ich erreiche nur die Mutter. Tochter kommt erst am späten Nachmittag nach Hause
2. Telefonat: Es nimmt niemand ab.
3. Telefonat: Es nimmt niemand ab.
.... das geht jetzt so weiter, bis ich alle Spielerinnen vor Ort antelefoniert habe.
Nächster Schritt: Meine Tochter hat von den meisten Spielerinnen vor Ort die Handynummern.
Gleich beim ersten Telefonat über Handy sagt mir Jessica Schäfer zu. Die meisten sind allerdings auch über Handy nicht erreichbar. Vanessa verschickt Watts-App Nachrichten.
Ich geh erstmal mit den Hunden raus - muß auch sein
Vorher noch EmailCheck. Imke Hofmann hat zugesagt. Eine Auswärtige hat abgesagt.
3. Spielerinnen haben innerhalb 45 min zugesagt. Und einige zuverlässige Spielerinnen, die auch in Hersfeld ansässig sind, stehen noch aus.
Bis 18:00 hat die gesamte Mannschaft eine Rückmeldung abgegeben!! Selbst die Auswärtigen, mit denen ich eine Vereinbahrung habe, dass sie sich nur rechtzeitig melden, wenn sie in Hersfeld sind und ansonsten meine Emails ignorieren können, haben mir in dieser Situation innerhalb weniger Stunden eine Rückmeldung gegeben!
Ihr seid Klasse Mädels !!
Weiber?, Zicken? Alles frauenfeindliche Vorurteile! Ich verpenne diesen Mannschaftskampf und habe nicht einmal ansatzweise einen Vorwurf oder dummen Spruch hinnehmen müssen.
Leider bleibt es bei drei Spielerinnen. Die Hersfelderinnen sind im Urlaub und die Auswärtigen sind nicht in Hersfeld..... Herbstferien.....
Ich telefoniere mit Chemnitz und gebe das 1. Brett kampflos verloren.
Sonntag, 23.10.16
8:47 Ich setze mich mit Vanessa in dem Zug Richtung Bad Hersfeld
9:06 Ankunft in Bad Hersfeld
9:15 Ankunft der Chemnitzerinnen
9:35 Jessica und Imke erscheinen. 9:35 !! nicht 5 min vor Spielbeginn
10:00 Der Kampf beginnt.
Durch die kampflose Niederlage liegen wir schon beim 1. Zug 0:1 zurück. Die Chemnitzerinnen haben 20 bis 120 DWZ Punkte mehr als die Hersfelderinnen. Das ist zwar etwas aber nicht viel.
In solchen Fällen verweise ich ja gerne darauf, dass Hersfeld eine junge, dynamische Mannschaft hat. Bringt hier nichts: Die jüngste Hersfelderin ist 15, die älteste Chemnitzerin ist ebenfalls 15.
Soviel zur Zahlenspielerei, gekämpft wird am Brett. Völlig klar, dass die Mädels diese Spontanaktion nicht mitmachen, um sich nach einigen Alibizügen mit einer Niederlage abzufinden. Sie können verlieren, sie können gewinnen, aber sie werden alles geben!
Die Eröffnungsphase verläuft zufriedenstellend. Vanessas Gegnerin vermischt im Schotten zwei Eröffnungsvarianten. Das hab ich in dieser Form noch nicht gesehen. Eine direkte Widerlegung dieser Vermischung sehe ich auf Anhieb nicht. Aber da ich mich im Schotten auch etwas auskenne, bin ich mir recht sicher: Das kann nicht gut sein, wenn es gut wäre müßte ich das kennen.
Jessicas Gegnerin baut sich mit den weißen Steinen sehr passiv auf. e3, d3, g3 Lg2. Se2. Jessica kann sich mit den schwarzen Steinen frei entfalten und hat nach nur wenigen Zügen vollen Ausgleich.
Imke bekommt einen ruhigen Italiener aufs Brett. Sehr solide Stellung, aber ohne Angriffspotenzial. Derartiges entscheidet sich gewöhnlich erst im Endspiel.
Kaffee kochen, ein paar nette Gespräche mit dem Chemnitzer Mannschaftsführer. Die Partien nehmen ihren Gang. Bei Jessica und Imke tauschen sich einige Figuren. Vanessa kreiert Ideen, auf die ich nicht im Traum gekommen wäre. Why not ? Der beginnende Königsangriff sieht kraftvoll aus und die Tatsache, dass ich in dieser Stellung nicht auf solche Gedanken gekommen wäre, ist ja kein Makel.
Nach diesem Rundgang erst mal wieder einen Kaffee, man kann den Mädels ja nicht ständig auf der Pelle hocken. Ein Gang zum Bäcker, der Magen will ja auch was zu tun haben.
Vanessa steht jetzt richtig Fett. Mehrbauer bei besserer Stellung. Noch keine sofortige Entscheidung aber sehr deutlicher Vorteil. Imke tauscht weitere Figuren. Vom Prinzip her gar nicht falsch. Aber sie tauscht zu schnell und zu viel. In vielen Fällen ist es besser seine Figuren "nur" gut hinzustellen und vom Gegner tauschen zu lassen statt selber zu tauschen.. Sie befindet sich jetzt im Leichtfiguren-Endspiel mit gleicher Bauernanzahl, hat sich aber durch einen voreiligen Figurentausch eine Bauernschwäche eingehandelt. Bei Jessica ist noch alles im Ausgleich.
Nächste Pause. lassen wir die Mädels mal machen. Zwischenbilanz: Vanessa sollte den 1:1 Ausgleich schaffen, Imke? Sie steht nicht schön, aber diese eine Schwäche sollte sie noch verteidigen können. Wenn sie die Nerven behält und keine zweite Schwäche zuläßt sollte sie dass remis halten können.
Dann käme es darauf an, was Jessica aus ihrer völlig ausgeglichenen Stellung macht. Aber noch ist an keinem Brett eine Entscheidung gefallen. Vanessas deutlicher Vorteil ist nicht so groß, dass ihre Gegnerin in den nächsten Zügen aufgeben wird und Imke hat hat das Remis auch noch nicht.
Zeit für den nächsten Rundgang. Die Stellungen haben sich verändert.
Bei Imke haben sich auch noch die Leichtfiguren getauscht. Sie befindet sich jetzt im Bauernendspiel. Sie hat immer noch Ihre Bauernschwäche, aber sie konnte Ihren König aktivieren.
Das ist jetzt ein klares Remis.... wenn sich ihre Gegnerin damit abfindet und neutrale Züge macht. Macht sie aber nicht. Sie versucht die weiße Bauernschwäche anzugreifen. Und nun wird Imke nochmal richtig gefordert. Die Bauernschwäche verteidigen? Das wäre die natürliche Reaktion, aber dann muß sie ihren König wieder schlechter stellen. Weiter aktiv werden? Das wäre genial, aber sie hat im nächsten Zug gar keine Möglichkeit weiter aktiv zu werden. Neutraler Zug? Ein Königszug würde nur die Königsstellung verschlechtern, Neutrale Bauernzüge hat sie nicht.
Sie opfert einen Bauern! Die Gegnerin verwendet ein Tempo um sich der Bauernschwäche zu nähern, und Imke verwendet ein Tempo um ihr diesen Bauern auf dem Silbertablett zu servieren? Imkes Gegnerin fängt an richtig lange zu überlegen und lehnt dieses Geschenk ab. Hätte sie den Bauern verspeist, wäre Imkes König in ihre Stellung eingebrochen, viele Bauern wären vom Brett verschwunden und Imkes Freibauern hätten das folgende Freibauernwettrennen klar und deutlich gewonnen.
Nachdem das Bauernopfer abgelehnt wurde, dringt Imke auch mit ihren König in die schwarze Stellung ein, aber der schwarze König kann den kritischen Bauern g7 grade noch so verteidigen.
Imke wird noch mal richtig gefordert. Sie kann ihre Gegnerin in Zugzwang bringen, aber dafür muß jetzt jeder der folgenden Züge sitzen. Ein falscher Bauernzug und die Partie endet mit Pattstellung.
Und jeder der folgenden Züge sitzt! Imke spielt dieses Bauernendspiel mit absoluter Präzession!
Hut ab. Hochachtung. Dieses Bauernendspiel war absolut erste Sahne. 1:1 Ausgleich
Leider sind die Veränderungen bei Vanessas Stellung nicht so erfreulich.
Vanessa hat ihre Stellung überzogen. Ein falscher Zug mit katastrophalen Folgen: Die schwarze Dame kann in ihre Stellung eindringen, um Schlimmeres zu verhindern muß sie die Aktivierung des schwarzen Springers hinnehmen. Ihren Mehrbauer verliert sie, ein zweiter Bauer ist jetzt nicht mehr zu verteidigen und schließlich muß sie auch noch einen Läufer geben um die plötzlich auftauchenden Mattdrohungen abzuwehren. Hoffnungslose Verluststellung. Sie spielt noch bis zur Zeitkontrolle weiter. 1:2 für Chemnitz
Auch bei Jessica haben sich die Dinge nicht so entwickelt wie ich das gerne hätte.
Sie hat, wie Imke, Figuren getauscht um die Entscheidung im Endspiel zu suchen. Ist in Ordnung, aber sie macht dabei leider den gleichen Fehler wie Imke. An einigen Stellen nicht selber tauschen, sondern den Gegner tauschen lassen. Jessica verliert durch einen voreiligen Tausch einen Bauern und befindet sich im Läuferendspiel mit einem Bauern weniger. Sie wehrt sich nach Kräften, aber diese Endspiel ist nicht mehr zu halten
Endstand 1:3 für Chemnitz
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